Peter Thiers: "MINIATUREN"
EPISODE 6
Mina und Arthur treten in eine lange, leere Halle.
REZEPTIONISTIN Bitte ziehen Sie eine Nummer - Sie werden aufgerufen.
MINA Danke, Nebenfigur.
REZEPTIONISTIN Mein Name ist: Rezeptionistin.
MINA Natürlich ist er das.
REZEPTIONISTIN Die Laterne ruft, sobald Sie dran sind.
Mina schaut irritiert, zieht einen Zettel aus dem Automaten, läuft unruhig auf und ab und wirft nervöse Blicke in den Raum.
ARTHUR Mina, setz dich, Mensch, du machst mich ganz kirre.
Als Arthur beim Umhersehen im Raum keine Sitzgelegenheiten entdeckt, bewegt er kurz seinen Finger: ein Sofa im Second-Empire-Stil erscheint.
ARTHUR Da.
Mina taxiert das prunkvolle Möbelstück lange, dann wirft sie sich in voller Länge darauf.
MINA Du hast ja 'ne Fantasie.
ARTHUR Hab's aus der Geschlossenen Gesellschaft gezogen.
MINA Sartre. Ging's nicht 'ne Nummer kleiner?
ARTHUR Ich kann nur Dinge aus der Luft greifen, die unser Autor auch kennt. Es war entweder das - oder das blutige Sofa aus Hedda Gabler.
MINA Blutiges Sofa - wenn du die Wahl hast, immer blutiges Sofa!
ARTHUR Merk ich mir für's nächste Mal.
MINA Wenn's denn eins gibt.
ARTHUR Glaubst du nicht?
MINA Wir stehen -, sitzen buchstäblich in einer langen, leeren Halle, mit einer Nebenfigur, die Rezeptionistin heißt, auf Möbeln, die aus anderen Stücken geklaut sind. Ich meine, wie unkreativ sind allein unsere Namen? Mina und Arthur - damit sich aus der Kombination irgendwie der Titel Miniaturen ergibt?
ARTHUR Kam mir noch nie in den Sinn.
MINA Wie naheliegend kann man noch schreiben? Glaubst du wirklich, wir kriegen 'ne zweite Staffel? Wir leben in Sackgassen: du hast immer noch keine Vergangenheit, keine Zukunft. Keine Familie. Und ich? War von Anfang an so konzipiert, dass ich meine Gegenwart lebe, dass mich die Kostbarkeit des Moments bis ins Höchste entzückt. (sie macht eine unflätige Geste) Wofür? Um deine Antagonistin zu sein? Um dir, als komplettes Gegenteil deiner Wünsche, jeden Tag auf's Neue im Wege zu stehen? Das ist der Sinn meines Lebens? Hedda, gib her die Pistole.
Die Dame in Grau tritt hinzu.
MINA Sie sind nicht Hedda.
ARTHUR Sie sehen eher wie jemand aus, der uns sagen kann, worauf und wie lange wir hier noch warten.
DIE DAME IN GRAU Sie sind abgestellt worden. In den Limbus geworfen - Sie warten darauf, dass man Sie nochmal braucht.
ARTHUR Und wieso sind Sie sich da so sicher?
DIE DAME IN GRAU Weil es mir ebenso geschehen ist wie Ihnen.
MINA So'n Quatsch, wir haben Nummern gezogen - dann sind wir auch irgendwann dran.
Die Dame in Grau zieht ebenfalls eine Nummer aus ihrer Manteltasche.
DIE DAME IN GRAU Herzlichen Glückwunsch.
ARTHUR Aber wir sind Hauptfiguren, und, verzeihen Sie, wenn ich Ihnen das mal so roh an den Kopf knall' - Sie sind das nicht.
DIE DAME IN GRAU Die Rezeptionistin dort drüben, (Arthur und Mina recken die Hälse) sie war die Protagonistin einer Kurzprosa: "Im Schatten der Laterne". Riesengeschichte über eine Frau, die einen Aushilfsjob in der Behörde eines dystopischen Staates annimmt und eine Verschwörung in der Vergabe der Nummern aufdeckt. Unser... Sie wissen schon, er hatte bereits acht oder neun Seiten geschrieben, aber stellte irgendwann fest, dass die Leser den Kopf dicht haben mit Szenarien der drohenden Apokalypse. Keiner sucht mehr nach Dystopien. Also hat er die Rezeptionistin in einen Ordner auf seinem Desktop geschoben, in dem er unfertige Texte behält.
MINA Und wir sind-
DIE DAME IN GRAU Herzlich Willkommen im Ordner.
ARTHUR Aber die Vergabe der Nummern-?
DIE DAME IN GRAU Nur, um die Rezeptionistin glücklich zu machen. Bestimmt finden wir über die Zeit auch etwas, das Ihnen Freude bereitet.
MINA Nix da, no way. Ich werde garantiert nicht wochenlang hier im Nirgendwo hocken, in der Hoffnung, vom werten Herrn Künstler ausgegraben zu werden.
DIE DAME IN GRAU Wochen? Sie haben eine optimistische Ader.
MINA Wie lange sind Sie denn schon hier?
Stille.
DIE DAME IN GRAU Lange genug, um mir Gedanken zu machen.
MINA ...und?
DIE DAME IN GRAU Wenn Sie tatsächlich etwas gegen ihn unternehmen wollen - kommen Sie besser mit mir.
Arthur und Mina sehen die Dame in Grau lange an. Dann verlassen sie gemeinsam die Szene. Ende von Staffel 1.
Visuelle Gestaltung: Sören Zweiniger, Mitarbeit: Sebastian Seidel, Text: Peter Thiers